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Einst galt der Müller als größter Dieb im Land

               Von Hans Markus Thomsen

               Kein Beruf war häufiger und keiner außer dem des Bauern so wichtig - aber warum war der
               Müller "ehrlos"?


               Wenn Meier als der deutsche Familienname schlechthin gilt, so ist Müller der häufigste von allen.
               Er ist so häufig, dass alle Müller zusammen (zirka 605.000), verstärkt durch die niederdeutschen
               Möller (rund 71.000) eine Stadt füllen würden, die größer wäre als Frankfurt am Main. Wie Meier
               ist auch Müller kein ursprünglich deutsches Wort. Es leitet sich ab vom mittellateinischen
               molinarius, mittelhochdeutsch mülner, müllner. Aus dem wurde durch Angleichung Müller (wie
               althochdeutsch zwineling zu Zwilling). Aber auch die ältere Form Müllner ist als Familienname
               über 1.000-mal überliefert.


               Natürlich gibt es auch ein germanisches Wort für Müller: der Kürner. Die kürn, kürne oder quirne
               ist die Mühle; das Wort lebt noch in Ortsnamen wie Kirnach, Kürnach oder Querfurt. Etwa 600
               Leute tragen den Familiennamen Kürner, sind also auch Müller. Der Minnesänger "Der von
               Kürenberg" (um 1150 nach Christus) war sich dessen bewusst: Er trug einen Mühlstein im
               Wappen.

               Aber mit der wortgeschichtlichen Erklärung gibt sich der Namensforscher (Onomatologe) nicht
               zufrieden. Soll doch, wie Jacob Grimm forderte, die Ergründung der Eigennamen auch "licht über
               sitte und geschichte unserer Vorfahren verbreiten". Und da bietet ausgerechnet der
               "Allerweltsname" Müller so viele und so überraschende Facetten wie kaum ein anderer. Warum
               etwa war zur Zeit der Entstehung unserer Familiennamen dieser Beruf zahlenmäßig der am
               meisten verbreitete? Getreide war das Hauptnahrungsmittel; die Kartoffel kommt erst viele
               Hundert Jahre später nach der Entdeckung Amerikas in unsere Küche. Die Leute ernährten sich
               hauptsächlich von Brot und Getreidebrei, das Mehl und Schrot dafür mahlte der Müller.
               Unbekannt war damals, das Mehl zu denaturieren, das heißt, vor dem Mahlen die Randschichten
               des Korns zu entfernen. Diese Methode, nur den Mehlkörper zu mahlen, hat den Vorteil, dass das
               Mahlprodukt lange haltbar ist, aber den Nachteil, dass im Weißmehl wertvolle Inhaltsstoffe
               fehlen. Die waren im Vollkornmehl unserer Vorfahren enthalten. Dafür mussten sie
               Beschwernisse in Kauf nehmen: Die hoch ungesättigten Fettsäuren des vermahlenen Keimlings
               reagieren mit dem Sauerstoff, und das Mehl wird schnell ranzig. Man ließ also immer nur den
               Mehlvorrat für ein paar Tage mahlen. Das hieß: viele Mahlgänge - und viele Müller.


               Für die Versorgung der Bevölkerung war der Müller unersetzlich. So unersetzlich, dass er nicht in
               den Krieg ziehen musste. Genauer: Er durfte nicht, wie auch die Schäfer und Hirten nicht, die ihre
               Herden nicht allein lassen konnten. Die alte germanische Standeseinteilung war aber durch
               Waffenrecht und Waffenpflicht bedingt. Wer weder berechtigt noch verpflichtet war, im Heer zu
               kämpfen, der gehörte zu keinem anerkannten Stand, er war standeslos. Und weil es außer der
               Waffenehre keine andeutungsweise so wichtige Ehre gab, so war der Müller - nach altem
               Sprachgebrauch - unehrlich.


               Auch ein weiteres "Privileg" stellte den Müller außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung: Für ihn
               galt weder das Feierabend- noch das Feiertagsgebot, denn seine Arbeit war wie keine andere
               abhängig von den Launen der Natur: "Der Müller ist ein adelig Kind. Es arbeiten für ihn Wasser
               und Wind." Nur wenn seine Mühle einer Kirche benachbart war, musste er während des
               Gottesdienstes die klappernde Mühle anhalten.

               Die gesellschaftliche Niedrigstellung der "Ehrlosigkeit" ging aber nicht so weit, dass etwa der
               Schwur des Müllers vor Gericht nichts galt. Aber er konnte nicht in die Ehrenämter der Gemeinde
               gewählt werden, keine achtbare Zunft oder Gilde nahm ihn auf. Und das Schlimmste: Er durfte

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